Gourmetstube Einhorn im Romantikhotel Staflerhof

Im Südtiroler Dorf Mauls wirkt Peter Girtler seit 2001 in der Gourmetstube Einhorn im Romantikhotel Staflerhof. 
Und ein Essen in Mauls ist dem Michelin einen Umweg wert, wird aktuell mit zwei Sternen bewertet.
Die Frage, die sich der Runde stellt: Ist ein Essen in Mauls nicht nur einen Umweg wert? Ist es gar eine Reise wert? Peter Girtler geht auf diese Frage gar nicht ein. Selbstbewusst verlegt er die Reise auf den Teller.
Wir alle erinnern gerne die Reisen, als die Kinder noch klein waren und man mit ihnen eine Autofahrt über die Alpen ans Meer unternahm. Erst in der Rückschau klärt es sich, dass viele der Sätze, die auf diesen Fahrten zu hören waren, tausendfach und gleichzeitig in Autos im Stau zwischen München und Verona zu hören waren.
Mit ihnen habe ich die Reise, die Peter Girtler mit unserer Gruppe aus dem Münchner Raum unternommen hat, zu gliedern versucht.

Haben wir auch nichts vergessen?

In Sesam marinierter Thunfisch

Falsche Olive

Es beginnt mit Fingerfood, einem mit Sesam marinierten Thunfisch, dazu fermentierter Wintermeerrettich und Kräuter-Zitronen-Gelee. Ephemere Säuremomente, perfekt aufgefangen vom Thunfisch, der kräftige Aromen dagegen setzt.

Die Runde schmeckt noch dem Wintermeerrettich nach, da trägt der Service einen mediterranen Gruß aus der Küche, eine falsche Olive, auf. Unter einem Mantel aus grünen Oliven verbirgt sich eine Sauerrahmpraline mit einem Kern aus schwarzen Oliven. Kräftige Aromen, zartschmelzende Cremigkeit wecken Reminiszenzen an vergangene Reisen in die Toskana.

Während man noch in der Toskana weilt, holen Bauchspeck, Geräuchertes Schweinefilet und Wippitzer Lammschinken die Runde nach Südtirol zurück. Deftiges Raucharoma, Umami, Alpenkräuter.

Bauchspeck, Lammschinken, Schweinefilet

Anschnallen!

Klassische Haute Cuisine eröffnet das Menü – Gänseleber 2015. Man darf es sagen und wird Peter Girtlers Küche damit dennoch nicht im mindesten gerecht: Allein die zahllosen Variationen von Gänseleber sind eine Reise wert. Zart karamellisierte Gänseleber auf Marillen setzt einen fruchtigen Akzent, das Spiel aus Säure der Marillen und Cremigkeit der Leber lässt einen sanften Nachklang im Gaumen. Dem sitzt frech gegenüber die geeiste Gänseleber mit Honigpopcorn. Würzige Pimpinelle mit dezenten Bitteraromen ist die perfekte Begleiterin für die süße Fruchtigkeit der gelierten Gänseleber und der Gänseleberpraline. Französische Haute Cuisine wird gewagt, aber perfekt ausbalanciert kombiniert mit dem heimischen Kräutergarten.

Gänseleber 2015

Flüssiges Vitello Tonnato

Wir verlassen Frankreich und begeben uns nach Italien zu einer klassischen italienischen Vorspeise – Vitello Tonnato. Hier wird es radikal neu interpretiert, der Thunfisch steigt auf zur Hauptattraktion. Würfel von Balfego Thunfisch werden umspielt von einem Kalbsfond und Süßkartoffeln. Ein Öl aus Zitronenthymian schafft energisch die Verbindung.

Kinder, schaut mal raus, wie schön die Berge doch sind!

Vor dem ersten Hauptgang holt die Küche die Gruppe nach Südtirol zurück und erinnert mit einer Ziegenkäsepraline an die heimischen Almen. Ein Feigenherz kündet von seinem natürlichen Begleiter, dem Ziegenkäse. Schwarze Johannisbeere und Sauerklee rufen laut: „Vergiss nicht deine Heimat auf der weiten Reise!“

Ziegenkäsepraline mit Feigenherz

Ravioli vom Vitellone

Mama, ich hab Hunger!

Der primo piatto ist der Gang, dem entscheidender Anteil am Gesamturteil über ein Menü zukommt. Peter Girtler wählt einen italienischen Klassiker: Ravioli vom Vitellone, gebettet auf Krenkraut und pürierten Zwiebeln. Knusprige Textur des Parmesantalers trifft auf zarte Füllung der Raviolo und zarten Schmelz der pürierten Zwiebel. Das würzig-säuerliche Krenkraut harmoniert perfekt mit dem Umami des Vitellone. Feine Schärfe des Wasabino nimmt die Süße der Zwiebel und wird in Zaum gehalten vom Krenkraut. Erlesene Lukullik leistet vorwegnehmend ihren Beitrag zu dem Gesamturteil.

Noch zwei Kurven, dann seht ihr das Meer!

Der Gruß aus der Küche kündet vom Meer – Rote, sizilianische Garnele, Soya, Zitronencrumble, Kirschcreme und Tomaten-Dashi-Fond. Weit in den Osten schweift der Blick, japanische Anmutung, verbunden mit einem Granny-Smith- Gelbe Tomaten-Sorbet.
Barfuß am Strand, eine kühle Brise, Meerluft, eine Ahnung von Heimat. Konzentriert in einem kleinen Gruß aus der Küche.
Sprachloses Genießen. Glück pur.

Sizilianische Garnele

Schwarzer Heilbutt

Kräftige Begleitung erfährt der schwarze Heilbutt – Rotes Curry, Sellerie im Heu, Bronzefenchel. Wir bleiben am Meer. Wir ahnen Heu, wir ahnen, dass das Meer uns trennt von fernen Ländern und deren schierem Reichtum an Aromen und Gewürzen. Mit dem Heilbutt schwimmen wir bis nach Indien. Leichte Dillnoten des Bronzefenchel behaupten sich gegen das Curry und den Sellerie und gemeinsam tragen sie den schwarzen Heilbutt, der perfekt gegart zum Hinwegträumen einlädt.

Ochsenbäckchen

In meiner Klasse ist einer, der fährt nach Amerika, der hat viel tollere Eltern als ich

Wir sinnen dem Aromenfeuerwerk nach, das der secondo piatto entfacht hat. Der freundliche Service trägt zur familiären Atmosphäre bei und trägt die Einleitung für den terzo piatto auf: Geschmortes Ochsenbäckchen auf zweierlei Mais mit Hagebuttencreme. Man möchte den Stier direkt bei den Hörnern packen. Röstaromen, herbe Kontrapunktik der Hagebutten, weich getragen von Polenta.

Peter Girtler nimmt uns mit bis nach Amerika, mit den geschmorten Ochsenbäckchen gab er einen ersten kulinarischen Hinweis.

Nebraskarind

Das Nebraskarind wartet bereits ungeduldig auf den großen Auftritt. Und es bringt löffelzart kräftige Begleitung mit – versteckt unter einer Backzwiebelkruste, begleitet von Pfifferlingen, Eiskraut und Kohlrabi. Kindheitserinnerungen werden wach, als man sich bei den Cowboys wähnte. Die Lakritznote in der Jus fügt sich in die Harmonie, das Fleisch lässt sich mit dem Löffel teilen, die nussigen Aromen des Kohlrabi verbinden sich zu einer unlösbaren Einheit mit den zarten Röstaromen des Rindes, gemeinsam mit der Jus rufen sie nach den Pfifferlingen und der roten Bete, wollen fest mit der Erde verbunden sein.

Macht euch erstmal frisch, dann dürft ihr noch auf den Spielplatz

Die Sonne geht langsam unter, die Eindrücke der Reise setzen sich, in regem Austausch mit der Gruppe tauscht man sich im gemeinsam Erlebten aus. Eine aufgeregte Zufriedenheit gesellt sich zur Runde am Tisch, die rustikale Gemütlichkeit der Einhornstuben nimmt einen jeden an die Hand und sagt: „Hier bist du zuhause.“ Der Service erkennt routiniert den Augenblick, da die Gruppe bereit ist für ein Feuerwerk und trägt Rote Paprika auf. Auf einem Gazpacho aus Mango wartet ein Sorbet aus leicht salziger Paprika nur darauf, das Gespräch zu beleben. Himbeersorbet lockt den Gast auf vertrautes Gelände, und überrascht damit, wie perfekt sie harmoniert mit leicht salzigem Paprikaeis. Eine Hippe aus getrockneter Marille breitet ihre Flügel und trägt mit süßer Fruchtigkeit in die Höhe. Ganz dezent mit leichten Zitrusnoten erfrischt die Verbene.

Rote Paprika

Haben wir an die Postkarte für Oma und Opa gedacht?

Erfrischt, schon längst satt, stets zufrieden haben wir doch mehr oder weniger heimlich auf den letzten Menüpunkt geschielt: Schokolade August 2022.

Der Dessertgang ist bei vielen Köchen der unbeliebteste: als letzter Gang am nachhaltigsten in Erinnerung bleibend, trifft er doch auf eine ausgeprägte Erwartungshaltung. Experimente in diesem Gang werden am wenigsten verziehen, Kreativität wird dennoch erwartet.

Schokolade August 2022

Peter Girtler meistert diesen Spagat spielend, und zaubert aus der klassischsten Dessertzutat schlechthin ein Meisterwerk, das den Gast zunächst ins Vertrauen zieht und ihn dann wie beiläufig in neue Universen führt. Mousse von Schokolade, Passionsfrucht, Salzkaramell, hier nimmt Peter Girtler den Gast an die Hand und führt ihn über vertraute Wege. Und wenn sich der Gast vollkommen sicher fühlt, dann wird er überzeugt von einem Sorbet aus Yuzu, Apfel und Sellerie, das sprachlos zurücklässt in seiner perfekten Balance von Säure, Süße, würzigem Sellerie.

Papa will kein Eis, er nimmt lieber einen Espresso

Den Abend beschließt ein Einhorn Eiskaffee, eine Symphonie aus Karamell, Latsche, Kaffee Espuma, Espresso Garnité und Cappuccinoeis.

Wir haben uns gefragt, ob die Gourmetstube Einhorn einen Umweg oder gar eine Reise wert ist.

Schwere Frage, einfache Antwort: Wenn man in der Antarktis wohnt, und kein Auto hat, also bis nach Südtirol laufen muss, und selbst wenn man Kinder dabei hat, die sich statistisch belegt, alle 70 Minuten streiten, ja sogar dann ist Peter Girtlers Küche allemal eine Reise wert.

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